Luther hat einem praktischen Bedürfnis entsprochen und im Mittelalter eine Bibelübersetzung geschaffen, die auf alle Nachfolger in irgendeiner Weise bis zur Gegenwart prägend wirkt. Niemand kann dieses Phänomen leugnen, denn unbewusst wird jede neue Übersetzung an dem vertrauten Klang einer schon bekannten Übertragung gemessen. Selbst deren Fehler sind „richtig“, bis sie wirklich im Gedächtnis als Fehler verzeichnet werden. Luther hat sogar auf die Entwicklung der deutschen Sprache einen großen Einfluss gehabt, denn lange Zeit wurden an vielen Häusern Verse aus der Lutherbibel angebracht. Unser Sprachzentrum bildet hieraus eine Norm für andere Sätze. Ein Übersetzer ist keine „neutrale“ Maschine, bei der sich mit „richtig“ und „falsch“ seine Übersetzung beurteilen lässt. Bei „toten“ Sprachen fehlt außerdem eine gesunde Kontrolle durch Personen, die aktiv das vorliegende Ergebnis überprüfen können.
Beim griechischen Text, dem Neuen Testament, kann der Übersetzer recht sicher sein, dass die Wortbedeutungen hinreichend sicher geklärt sind, da schon der Hellenismus ein riesiges Vergleichsmaterial bietet, das bereits von vielen Gelehrten benutzt wurde. Bei den Texten des hebräischen Alten Testamentes ist die Situation viel schwieriger. Manche Worte – sogenannte hapax legomena – sind nur ein einziges Mal belegt und oft in ihrer Bedeutung sehr unsicher. Die griechische Grammatik unterscheidet sich grundlegend von der hebräischen. Das Übertragen indogermanischer Vorstellungen auf das semitische Denken (wie hebräisch) hat schon Fehler verursacht. Hinzu kommt, dass die Sprache über viele Jahrhunderte kaum aktiv benutzt wurde. Das moderne Ivrit, wie es jetzt wieder in Israel gesprochen wird, ist in seinen Sprachgesetzen manchmal den europäischen Sprachen mehr zugetan als dem hebräisch des Alten Testamentes. Luther hat sich bei seiner Übersetzung immer wieder von der Vulgata (lateinische Übersetzung) in Zweifelsfällen inspirieren lassen – das Ergebnis ist nicht immer richtig. Ihrerseits ist die Lutherübersetzung zur Richtschnur geworden für manche neue Übersetzung. Fehler werden so unbemerkt weiter gegeben. Auch heute noch kann manches verbessert werden. Schlimm wird es aber nur, wenn man Luthers Übersetzung nicht mehr überprüfen will, weil sie selber schon wieder für „inspiriert“ gehalten wird. Gerade was das sprachliche Element angeht, war Luther selbst sehr offen und er hätte jede Möglichkeit genutzt, seine Übersetzung zu verbessern. Man sollte immer nach vorne schauen, aber nie Schritte nach hinten gehen!
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